Lieber Mamas als Karriere-Twens!

31.01.2017 | LEAD digital | Alexander Krapp

Wohl in kaum einer anderen Branche klafft zwischen Wunsch und Wirklichkeit eine größere Kluft als in der Digital-Branche: Ja, alle wollen wir familienfreundlich sein, Teilzeit-Mamas und -Papas einstellen.

Den Job bekommen dann aber doch die karrieregeilen Twens.

Warum eigentlich, fragt sich Alexander Krapp. Gründer und Geschäftsführer der Münchener Digitalagentur SOULSURF.

Mütter sind ein bisschen sonderbar. Sie weichen von unserer Norm ab. Wollen bzw. müssen pünktlich um 16 Uhr nach Hause bzw. in die Kita, haben keine Lust auf total inspirierende Brainstorming-Marathons, Bier trinken nach Feierabend – da fehlen sie auch meistens. Und dann ist auch noch das Kind krank. Mütter sind wie Helene Fischer-Fans: Sie passen nicht in unser Weltbild – aber da draußen laufen so viele von ihnen rum. Nur sie reinlassen – das wollen wir nicht. Maximal ein oder zwei. Und wir sind froh, wenn sie wieder weg sind.

Und dafür haben wir ja auch verdammt gute Gründe: Eine Mutter, die nur den halben Tag in der Agentur anwesend ist, bekommt die Hälfte des Tagesgeschäfts gar nicht mit. Wenn der Kunde dann mal wieder ganz dringend einen KV braucht oder über das Design der Website reden will, gibt’s meist nur eines: lange Gesichter. Und zwar bei den Kollegen, die schnell einspringen und übernehmen müssen. Ihr Job bleibt schließlich solange liegen. Das nervt. Und der Koordinierungsaufwand, wenn zwei Mütter sich einen Job teilen, ist auch nicht zu unterschätzen. Klappt die Übergabe? Wer springt ein, wenn’s brennt? Was ist, wenn wieder Grippealarm in der Grundschule ist? Und dann noch das allgegenwärtige Horrorszenario: WAS IST, WENN DER KUNDE NICHT HAPPY IST?

Ach ja, der Kunde: Gibt es hier nicht auch Mütter und Väter in Teilzeit, und da funktioniert es? Wieso soll das auf Agenturseite also nicht auch klappen? Weil man als Dienstleister immer gleich springen muss, wenn der Kunde ruft? Stimmt nicht, denn man kann sich auch einfach mit den Kunden absprechen und wenn jeder Bescheid weiß, erlebt man auch keine bösen Überraschungen. Die gibt es übrigens deutlich seltener als gemeinhin unterstellt. Beispiel Krankheitstage. In der Realität ist es nämlich so, dass Mitarbeiter ohne Kinder häufig sogar mehr Krankheitstage haben als die Mamas, und da kann auch schon mal ein Schnüpfchen der Grund fürs Nichterscheinen in der Agentur sein

Und so gibt es für Mütter und Väter in Teilzeit triftige Gründe. Viele sind bekannt: Eltern sind Stress erprobt, durchsetzungsfähig und fit im Multitasking – Mütter und Väter haben bereits ausreichend Erfahrung, stehen mit beiden Beinen fest im Leben und sind verlässlich in allen Lebenslagen – meist auch die deutlich loyaleren Mitarbeiter. Sie führen uns vor Augen, dass wir häufig in eine Parallelwelt abgerutscht sind, in der der Normalfall – die Familie – die Ausnahme ist. Eine Parallelwelt, in der wir mit viel Marktforschung Wohnzimmer nachbauen müssen, um zu erkunden, wie der Durchschnitts-Deutsche so lebt. Planning statt gesundem Menschenverstand ist unsere Devise geworden. Wir sind Meister darin, über Markenwerte zu philosophieren, hätten aber Probleme, einen Wertekanon für die eigene Branche zu benennen – zumindest, wenn dieser über die gängigen Floskeln wie kreativ, innovativ und natürlich unkonventionell hinaus gehen soll. Familienfreundlich gehört mit Blick auf unseren Altersdurchschnitt sicher nicht dazu.

Und so ist die Frage nach dem Für und Wider von Teilzeit-Mamas vor allem eine Frage des eigenen Mindsets. Wir Agenturchef wissen, wie’s zu laufen hat, oder? Rendite – das geht nur mit den hungrigen Karriere-Twens. Aber, was würde passieren, wenn wir unsere Blickrichtung radikal änderten? Eltern nicht mehr als Sonderfall betrachten, sondern als den Normalfall, bei dem die Kinderlosen die Exoten sind. Das wäre zunächst einmal tierisch anstrengend. Wir müssten eine Menge Verantwortung delegieren, weil wir tatsächlich nicht mehr jede Übergabe im Tagesgeschäft im Blick haben könnten, wir müssten Kunden „erziehen“, wir müssten Mitarbeitern in ihren Homeoffices wirklich vertrauen statt sie Excel-Charts über geleistete Arbeitszeiten ausfüllen lassen und wir müssten wahrscheinlich völlig neue, noch zeiteffizientere Prozesse in den Agenturen etablieren. Alles nicht einfach. Aber einen Versuch wäre es wert. Wir werden ihn jetzt wagen, den ersten Schritt. Die nächste Stelle, die wir besetzen, wird ein Vater oder eine Mutter sein. Fehlt jetzt nur noch der richtige Kandidat.

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http://www.lead-digital.de/aktuell/work/warum_wir_mehr_muetter_in_agenturen_brauchen